Die Hochschule Bremen (HSB) lebt von den Menschen, die hier studieren, arbeiten und sie als Gäste bereichern. In unserer Rubrik „Drei Fragen an…“ stellen wir einige dieser Menschen vor – mit ihren Perspektiven, Projekten und Visionen. Hier: Prof. Dr. Marc Gutermann. Der Ingenieur und sein Team vom Institut für Experimentelle Statik (IFES) haben Ende August eine wichtige Rolle beim Belastungstest der Bürgermeister-Smidt-Brücke gespielt. Dafür fuhren einen halben Tag lang leere und mit Sandsäcken beladene Straßenbahnen einzeln und in Parallelfahrt über die Brücke. Sie ist eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen der Stadt und seit mehreren Monaten wegen baulicher Einschränkungen für Straßenbahnen gesperrt. Im Interview verrät Marc Gutermann, was die Aufgabe des IFES in dem Projekt vom Amt für Straßen und Verkehr (ASV) sowie der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) war.
Herr Gutermann, der Belastungstest hat für viel (Medien-)Aufmerksamkeit gesorgt. Sie und Ihr Team waren dabei jedoch nicht zu sehen. Sie haben den ganzen Tag im Verborgenen unter der Brücke gearbeitet. Was war Ihre Aufgabe?
Bei diesem Projekt waren wir für die messtechnische Ausstattung, Datensammlung und -analyse zuständig. Was für uns bei 120 Messpunkten an der Brücke einen ungewohnt großen Aufwand bedeutete. Zur Vorbereitung auf diesen Tag hat das Büro grbv aus Hannover bereits umfangreiche Nachrechnungen mit Computermodellen durchgeführt. Dadurch kannten sie das Bauwerk schon sehr gut. Die Kolleg:innen gaben uns präzise vor, welche Messgrößen an welchen Stellen zur Bewertung der Tragstruktur wichtig sind. Wir haben dann beraten und uns um die Auswahl geeigneter Sensoren, deren Applikation, Verkabelung und die gesamte Messkette gekümmert, damit am Tag der Versuche alles reibungslos läuft.
Jetzt sind wir mit der Datenreduktion von knapp zwei Gigabite (GB) Zahlenkolonnen beschäftigt. Dabei kommt uns zu Gute, dass wir diese Komplettleistung schon häufig erbracht haben, zum Beispiel zur Bewertung von Mauerwerksgewölbebrücken der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Daher sind wir optimistisch, dass es uns gelingt, dem Büro die wesentlichen Daten so schnell wie möglich für die folgende rechnerische Analyse übermitteln zu können.
Gibt es noch weitere Projekte, in denen Sie und das IFES in Bremen und der Region mit Ihrer Expertise unterstützen?
Ja, einige. Wir verstehen uns als Partner aller Akteur:innen, die Probleme mit der Bewertung von Bestandsbauwerken haben. In den vergangenen fünf Jahren haben wir in Bremen durch Belastungsversuche acht Tragwerke bewertet – insgesamt etwa 70 in Deutschland, Österreich und Holland. Allerdings vorwiegend im Hochbau.
Obwohl wir hier an der Hochschule Bremen mit an der Entwicklung des Belastungsfahrzeugs BELFA für Belastungstests an Straßenbrücken geforscht und es auch über zehn Jahre betrieben haben, sind wir vorwiegend mit dem Test von Decken und Dachtragwerken in Massivbauweise beschäftigt. Das waren in Bremen zuletzt Schulen, Industrie- und Turnhallen sowie Wohngebäude, aber auch das Kreuzgewölbe des Fasskellers unter dem Domshof.
Ein spannender Job. Wie kann man sich an der HSB für so einen Beruf qualifizieren?
Man kann sich der experimentell gestützten Bewertung von Bauwerken von mehreren Seiten annähern, da es keine spezialisierte Ausbildung dafür gibt. Die meisten, die in diesem Tätigkeitsfeld arbeiten, haben Bauingenieurwesen mit der Vertiefung konstruktiver Ingenieurbau studiert – es geht ja um die Bewertung von Tragwerken. Da die messwertgestützte Strukturüberwachung von Bauwerken inzwischen immer vielseitiger wird, werden natürlich auch Expert:innen aus den Bereichen Messtechnik sowie Datenmanagement benötigt. Das wäre dann die Annäherung über entsprechende Vertiefungen der Studiengänge Maschinenbau, Elektrotechnik oder Informatik.
An der Hochschule Bremen wäre (m)eine bevorzugte Qualifizierung zuerst durch den Bachelor Bauingenieurwesen und anschließend der Master Bauingenieurwesen - Nachhaltiges Planen und Bauen. Parallel kann natürlich jede/r Studierende bei uns am Institut schon mal in die Tätigkeit hineinschnuppern. Denn: wichtig ist für diesen Job die richtige persönliche Einstellung, auch anstrengende manuelle Arbeit gehört zum Alltag dazu. An anderen Hochschulstandorten würde sich eine Promotion anbieten, um sich Kompetenzen in den Bereichen Versuchs- und Messtechnik sowie Datenverarbeitung anzueignen. Oder der direkte Einstieg in einem Unternehmen. Nach meiner (eigenen) Erfahrung braucht man mindestens zwei Jahre praktische Erfahrung, um annähernd zu begreifen, was alles bei der Planung und Durchführung von Experimenten beachtet werden muss. Es ist also ein langer Weg, bis man ‚Experimentator‘ ist, aber er lohnt sich!