Im Rahmen der Ringvorlesung „Die pluralistische Gesellschaft und ihre Anfeindungen – Risiken, Herausforderungen und Gegenstrategien“ an der Universität Vechta präsentierte der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Lisowski seine Analyse dieses rechtsidentitären Konzeptes.
Zu Kontext und Inhalt des Vortrages sagt Prof. Dr. Lisowski Folgendes:
"Bis Mitte Januar 2024 konnte vermutlich kaum jemand etwas mit dem Begriff „Remigration“ anfangen. Eine Abfrage der Nachrichten-Datenbank „factiva“ ergab kaum nennenswerte Berichte in deutschen Medien während des gesamten Jahres 2023. Im Januar explodierten die Zahlen förmlich. Auslöser war der Bericht über ein Treffen des rechtsextremen Aktivsten Martin Sellner mit Funktionären der AfD. In dessen Folge wiederum gingen hunderttausende Menschen im Spätwinter auf die Straße, um ihren Protest gegen die Remigrationsideen auszudrücken.
Was Sellner im Detail propagiert, blieb trotz der hohen medialen Aufmerksamkeit oftmals unbekannt. Deshalb ist eine Analyse des rechtsidentitären Konzeptes wichtig: Die zentralen Gedanken von Sellners „Remigrationskonzept“ sind nach meiner Einschätzung nur zu verstehen, wenn man sein grundsätzliches Bestreben begreift, die gesellschaftliche Grundstimmung ändern zu wollen. Meiner Meinung nach ist Remigration nur ein Baustein in dem, was Sellner die rechte Reconquista nennt. Reconquista – der Begriff kommt nicht von ungefähr. Er bezeichnet die Rückeroberung Spaniens durch die katholischen Königreiche aus den Händen der muslimischen Mauren, die mit dem Fall Granadas 1492 endete. Das Feindbild ist für Sellner damit klar. Neben den linksliberalen Grünen sind es vor allem Menschen muslimischen Glaubens, an denen Sellner sich abarbeite.
Sellners Konzept ist dabei in sich logisch und schlüssig – was es gefährlich macht. Denn die Logik des Konzeptes ist nur schwer zu widerlegen. Daher ist es wichtig aufzuzeigen, wie völlig konträr es zu unserer Wirklichkeit steht. Von Zauberhand entstehen in Sellners Remigrationsphantasie etwa pseudo-wissenschaftliche Institute und behördliche Einrichtungen, die ohne nennenswerte Probleme den bestehenden Rechtsrahmen aushebeln und potenziell Millionen Menschen remigrationspflichtig machen. Sellner streut sich und den Menschen Sand in die Augen, wenn er behauptet, diesen Prozess völlig legal und human gestalten zu können. Und wie dass dann wirtschaftlich verträglich für Deutschland und für die betroffenen Menschen vonstattengehen soll, das bleibt weitgehend sein Geheimnis. Eigentlich lebt der Rechtsidentitäre in einer anderen Welt. Die bestehende parlamentarische Demokratie nennt Sellner etwa ein „sanft totalitäres System“. Warum finden seine Ideen dann überhaupt Anklang? Wie so oft findet sich eben ein Körnchen Wahrheit in den ansonsten phantastisch anmutenden Ideen. Das, was Sellner „Meinungsklimaanlage“ nennt – etwa den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die Kultur, die Universitäten – all das ist in der Tat dezidiert linksliberal und setzt den Ton in vielen gesellschaftlichen Fragen, eben auch bei der Frage der Migration. Dennoch ist es abstrus, das einen „ideologischen Staatsapparat“ zu nennen und uns in einem sanften Totalitarismus zu wähnen.