Eine Forschungsreise nach Marokko von Angehörigen des Studiengangs Bauingenieurwesen der Hochschule Bremen (HSB) hat wertvolle Einblicke in das lokale Verkehrsverhalten in der Küstenstadt Al Hoceima geliefert. Die Ergebnisse zeigen, dass in der Region derzeit nur Taxis und Schulbusse im Einsatz sind, während in Bremen und anderen deutschen Städten ein vielfältiges öffentliches Nahverkehrssystem besteht. Die Studie bestätigt, dass Verkehrsverhalten, das in der Kindheit und Jugend erlernt wurde, das Mobilitätsverhalten im Erwachsenenalter maßgeblich prägt – eine Erkenntnis, die für die Entwicklung nachhaltiger Verkehrskonzepte von großer Bedeutung ist – auch in Bremen.
Insgesamt reisten drei Bachelorstudierende sowie je ein Masterstudent und -absolvent aus dem Bereich Bauingenieurwesen der HSB zusammen mit Dr. Sven Uhrhan, Professor für Nachhaltige Mobilitätssysteme, nach Marokko.
Der Fokus der Exkursion lag auf der Untersuchung des Verkehrssystems und des ÖPNV-Angebotes. Hieraus erwarten Professor Sven Uhrhan und die Studierenden auch Erkenntnisse für die weitere ÖPNV-Ausrichtung in Bremen. „In Bremen lebt eine relativ große Community von Personen aus Marokko und anderen nordafrikanischen Ländern“, so Sven Uhrhan. Die These der HSB-Gruppe: In Kindheit und Jugend erlerntes Verkehrsverhalten ist für die Anwendung von Fortbewegungsmitteln im Erwachsenenalter stark prägend.
Die Studierenden analysierten das Verkehrsverhalten der in der marokkanischen Küstenstadt Al Hoceima und den Nachbarorten lebenden Personen . „Wir haben während unseres Aufenthaltes Beobachtungen aufgestellt und diese als Gruppe miteinander verglichen. Zudem haben wir Gespräche mit verschiedenen Bewohner:innen der Stadt geführt, um Informationen zu deren Verkehrsverhalten und Eindrücken zu erhalten“, erklärt Exkursionsteilnehmerin Caterina Stephan, die an der HSB Bauingenieurwesen im 6. Semester studiert. „In Al Hoceima gibt es aktuell keine Busse, ausgenommen Schulbusse, oder Bahnen, sondern nur Taxis. Diese haben wir ebenfalls genutzt, um einen Eindruck über die Verkehrssituation zu bekommen“, erläutert die 29-jährige weiter.
Daraus konnten die Studierenden schließen, dass Zuwanderinnen und Zuwanderer in ihrer Heimat zunächst keinen Zugang zu den in Bremen politisch gewünschten Verkehrsmitteln wie Straßenbahn, Bus, Fahrrad oder Lastenrad haben. Die These, dass Verhalten, welches in Kindheit und Jugend nicht oder sehr abweichend kennengelernt wurde, sich in einer neuen Heimat nicht ohne weiteres schnell und anwendungssicher erlernen lässt, wurde durch die Feldforschung bestätigt.
Turac Aktas, Absolvent des Masterstudiengangs Bauingenieurwesen an der HSB, hat in seiner Masterarbeit ebenfalls die Pendlerbeziehungen zwischen der Stadt Al Hoceima und zweier Vororte untersucht und belastbare Handlungsempfehlungen zum erstmaligen Aufbau eines ÖPNV-Netzes in Stadt und Region auf Mini-Bus-Basis erarbeitet.
„Die Menschen Vorort sind angewiesen auf ein Auto oder müssen Taxi fahren. Das Fahrrad als Verkehrsmittel ist bei der topographischen Lage keine Alternative, sodass der Großteil der Bevölkerung zu Fuß unterwegs ist. Das neue Krankenhaus, Industrien und Lehreinrichtungen sind in den Vororten, teilweise bis zu 20 Kilometer entfernt“, erklärt Aktas. „Der Mini-Bus-Ansatz bietet eine flexible, kosteneffiziente und schnell umsetzbare Lösung zur Verbesserung der Mobilität in Al Hoceima und den umliegenden Gemeinden. Der Ansatz eines ÖPNV-Systems in der Region ist eine Chance für die Gleichstellung sozialer Diskrepanzen“, so der 30-jährige Absolvent weiter.
Die Ergebnisse der Arbeit wurden in Marokko auf einer Konferenz vor Vertreter:innen der Stadt Al Hoceima, der dortigen Hochschule sowie der Syker Partnerstädte Wrabzezno (Polen), La Chartre-sur-le-Loir (Frankreich) und Syke vorgestellt. „Die Verantwortlichen vor Ort freuen sich sehr über die Initiative der HSB und haben unsere Forschungsergebnisse neugierig aufgenommen“, so Turac Aktas.
„Für die Erreichung der verkehrsplanerischen Ziele in Bremen und ähnlich ausgerichteten deutschen Städten ist es wichtig, dass die künftigen Verkehrsplaner:innen auch das Verhalten, die sozialen Prägungen und infrastrukturellen Gegebenheiten in den Herkunftsländern der migrantischen Gruppen kennen und daraus bessere Zugänge zu den öffentlichen Verkehrsmitteln konzipieren können. Das können wir mit unserer Exkursion nach Marokko exemplarisch verdeutlichen“, erklärt Exkursionsleiter Prof. Dr. Sven Uhrhan.
Was Bremen künftig unternehmen könnte und sollte, um die Nutzung der oben genannten umweltfreundlichen Verkehrsmittel insbesondere auch für Menschen aus anderen Herkunftsländern attraktiver und möglichst leicht nutzbar zu machen, werden die Studierenden von Professor Uhrhan im Laufe des Sommersemesters weiter ausarbeiten.
Der Vorstand der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) bestätigte sein Interesse am Forschungsansatz und den Ableitungen der Ergebnisse für den Bremer ÖPNV durch eine finanzielle Förderung der Exkursion für die Studierenden.
„Für mich war dieser Auslandsaufenthalt eine große Bereicherung, da ich einen Einblick in eine mir noch recht fremde Kultur bekommen konnte. Die gesammelten Eindrücke helfen mir diverse Situationen aus einem weiteren Blickwinkel zu betrachten, was sowohl im Studium als auch im späteren Berufsleben von Vorteil sein kann“, sagt die Studentin Caterina Stephan.
Absolvent Turac Aktas zieht ebenfalls ein Positives Fazit: „Die Auslandserfahrung war auch für mich fachlich wie persönlich bereichernd. Sie ermöglichte den direkten Austausch mit lokalen Akteuren, förderte interkulturelles Verständnis und eröffnete mir neue Perspektiven auf Mobilitätslösungen in Entwicklungsregionen. Besonders bedeutsam für mich ist, dass ich sowohl bei der Städtekonferenz als auch vor der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Al Hoceima vortragen durfte. Der Austausch und das Interesse an meiner Arbeit haben mich sehr inspiriert und geprägt.“
Prof. Dr. -Ing. Sven Uhrhan
Nachhaltige Mobilitätssysteme
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